Zusammenfassung
Geträumt, getan. So sucht und findet der Nachfahre des Märchenschurken einen armen Müller und seine Tochter, übernimmt selbst die Rolle des Regisseurs, inszeniert das alte Märchen mit Doppel- und Dreifachrollen neu und führt es zu einem überraschenden Ende.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Impressum:
Lektorat: Susanne Schmitz
Copyright © 2013 TUBUK.digital
Ein Imprint der TUBUK GmbH
Johann Hirsch-Müller
Rumpelstilzchens Rache
Ein märchenhaftes Revolutionsstück für Leute ab 8 Jahren
Das Familenstück wurde am 06. Mai 2007 in Röttingen
(Kindertheater-Festival) vom papp&klapp Theater Neuburg an
der Donau unter der Regie von Hans Hirschmüller uraufgeführt.
1 Dekoration
Rollen:
Müller und König (Doppelrolle)
Sofie und des Müllers Tochter (Doppelrolle)
Männlein, ein Urururenkel von Rumpelstilzchen
Regisseur, Rumpelstilzchen (Doppelrolle)
Der Müller und seine Tochter Sofie sitzen am Tisch.
MÜLLER:
Wenn nicht ein Märchen geschieht, müssen wir verhungern.
SOFIE:
Hunger tut weh. Sterben auch?
MÜLLER:
Woher soll ich das wissen, noch bin ich am Leben.
SOFIE:
Mein Magen knurrt.
MÜLLER:
Ein sicheres Zeichen, dass du noch lebst.
SOFIE:
Was ist das für ein Leben, dem Magen zuhören, wie er knurrt.
MÜLLER:
Ein Märchen muss her.
SOFIE:
Du meinst ein Wunder muss gescheh’n … Die Märchenbücher hab’ ich
längst verkauft.
MÜLLER:
Ach richtig …
SOFIE:
Nichts mehr zu lesen, nichts mehr zu beißen.
MÜLLER:
Dann können wir uns nur noch selbst verkaufen.
SOFIE:
Da müssten wir was wert sein.
MÜLLER:
Ich bin ein alter Mann, ich bin nichts wert. Aber du bist jung.
SOFIE:
Du willst mich verkaufen?
MÜLLER:
Lieber verkaufe ich meine Seele.
SOFIE:
Da kenn ich nur einen, der an so was interessiert ist.
MÜLLER:
Nein, danke, mit dem will ich nichts zu tun haben.
SOFIE:
Dann red’ auch nicht so blöd daher.
Es klopft. Beide erschrecken.
MÜLLER:
Mein Gott, um diese Zeit, wer könnte das noch sein …
SOFIE:
Vielleicht das Märchen, das wir dringend brauchen.
MÜLLER:
Ein Wunder wäre mir schon lieber.
SOFIE:
Dann geh’ und öffne die Tür, damit du dich wundern kannst.
MÜLLER:
Soll ich wirklich, und wenn’s der Gerichtsvollzieher ist, was
dann?
Es poltert nochmals.
SOFIE: leise
Hast du etwa die Steuern nicht bezahlt?
MÜLLER:
Meine liebe Tochter, kannst du mir sagen, von was ich die hätte zahlen
sollen?
Stimme MÄNNLEIN: aus dem Off
Ich bin kein Gerichtsvollzieher.
MÜLLER:
Wer seid ihr dann?
Stimme MÄNNLEIN: aus dem Off
Das werdet ihr erfahren, wenn ihr die Tür öffnet.
MÜLLER:
Wer immer ihr auch seid, wir haben außer Armut nichts anzubieten.
Also geht.
Stimme MÄNNLEIN: aus dem Off
Das weiß ich. Also lasst mich herein. Ihr werdet es sicher nicht bereuen.
SOFIE:
Vater, öffne die Tür. Schlimmer als es ist, kann es nicht werden.
MÜLLER:
Du hast recht. Ich lass ihn rein. Selbst der Tod wäre eine Erlösung.
geht hinaus, öffnet die Tür.
Stimme MÄNNLEIN: aus dem Off
Gott zum Gruße, werter Müller. Männlein kommt leise singend herein.
Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich so und nicht anders heiß …
sieht Sofie Gegrüßet seist auch du, du wunderschönes Fräulein,
namens Sofie, der Weisheit schönes Antlitz.
MÜLLER:
Ihr humpelt, habt ihr euch verletzt.
MÄNNLEIN:
Behindert, möchte ich eher meinen. Die Spätfolgen einer bösen
Geschichte, in die mein längst verstorbener Urururgroßvater
dummerweise verwickelt war.
SOFIE:
Das tut mir aber leid.
MÄNNLEIN:
Zuviel des Mitleids. Wie ich sehe, müsste ich mit euch Mitleid haben:
nichts zu beißen, nichts zu lesen, das trifft sich gut.
MÜLLER:
Zu unserer Armut nun auch Spott.
SOFIE:
Und Bosheit … Frechheit.
MÄNNLEIN:
Verzeihung, ich bin weit davon entfernt, ein boshafter Spötter zu sein.
Um es kurz zu machen: Würdet ihr im Reichtum schwimmen, wäret ihr
für mich ohne jede Bedeutung, sozusagen uninteressant, weniger wert
als Dreck unter meinem Fingernagel.
SOFIE:
Interessant.
MÄNNLEIN:
Mehr als das, hochinteressant, um nicht zu sagen: megainteressant.
MÜLLER:
Wir Hungerleider besitzen also einen megainteressanten Wert.
MÄNNLEIN:
Einen unschätzbaren Wert. Ihr seid ein Glücksfall für mich und meinen
Urururgroßvater, vorausgesetzt, dass euer Verstand wegen des
Hungers noch nicht gänzlich verloren gegangen ist.
SOFIE:
Keine Sorge: Noch haben wir alle Tassen im Schrank.
MÄNNLEIN:
Aber keine Bücher im Regal. Wie heißt doch das letzte Märchenbuch,
das du in deiner Not verkauft hast.
SOFIE:
Das weiß ich nicht. Ich hab’s vergessen.
MÜLLER:
Das war auch gut so, meine geliebte Tochter. zum Männlein Es war ihr
Lieblingsmärchen.
MÄNNLEIN:
So, so, ihr Lieblingsmärchen. Hat plötzlich ein Büchlein in seiner Hand
und hält es Sofie unter die Nase Handelte es sich zufällig um dieses
Exemplar? Mit dem schauerlichen Titel: Rumpelstilzchen.
SOFIE: liest
Für Sofie, von deiner Mutter. Weihnachten im Jahre …
Lichtwechsel – Klarinette – Puppenspiel
Das Märchen Rumpelstilzchen wird im Original erzählt:
Es war einmal ein Müller, der war arm, aber er hatte eine schöne
Tochter. Nun traf es sich, dass er mit dem König zu sprechen kam, und
zu ihm sagte:
„Ich habe eine Tochter, die kann Stroh zu Gold spinnen.“
Dem König, der das Gold lieb hatte, gefiel die Kunst gar wohl, und er
Befahl, die Müllerstochter sollte alsbald vor ihn gebracht werden. Dann
führte er sie in eine Kammer, die ganz voll Stroh war, gab ihr Rad und
Haspel, und sprach:
„Wenn du diese Nacht durch bis morgen früh dieses Stroh nicht zu
Gold versponnen hast, so musst du sterben.“
Darauf ward die Kammer verschlossen, und sie blieb allein darin. Da
saß nun die arme Müllerstochter, und wusste um ihr Leben keinen Rat,
denn sie verstand gar nichts davon, wie das Stroh zu Gold zu spinnen
war, und ihre Angst ward immer größer, dass sie endlich zu weinen
anfing. Da ging auf einmal die Türe auf, und ein kleines Männlein trat
herein und sprach:
„Guten Abend, Jungfer Müllerin, warum weint sie so sehr?“
„Ach, ich soll Stroh zu Gold spinnen, und verstehe das nicht.“
„Was gibst du mir, wenn ich’s dir spinne?“
„Mein Halsband“
Das Männlein nahm das Halsband, setzte sich vor das Rädchen, und
schnurr, schnurr, schnurr, dreimal gezogen, war die Spule voll. Dann
steckte es eine andere auf, und schnurr, schnurr, schnurr, dreimal
gezogen, war auch die zweite voll: Und so ging’s fort bis zum Morgen,
da war alles Stroh versponnen, und alle Spulen waren voll Gold. Als
der König kam und nachsah, da erstaunte er und freute sich, aber sein
Herz wurde nur noch begieriger, und er ließ die Müllerstochter in eine
andere Kammer voll Stroh bringen, die noch viel größer war, und befahl
ihr, das auch in einer Nacht zu spinnen, wenn ihr das Leben lieb wäre.
Das Mädchen wusste sich nicht zu helfen und weinte, da ging abermals
die Türe auf, und das kleine Männlein kam und sprach:
„Was gibst du mir, wenn ich dir das Stroh zu Gold spinne?“
„Meinen Ring von dem Finger.“
Das Männchen nahm den Ring, und fing wieder an zu schnurren mit
dem Rade, und hatte bis zum Morgen alles Stroh zu glänzendem Gold
gesponnen. Der König freute sich über die Massen bei dem Anblick, war
aber noch immer nicht Goldes satt, sondern ließ die Müllerstochter in
eine noch größere Kammer voll Stroh bringen und sprach:
„Das musst du noch in dieser Nacht verspinnen; wenn dir das gelingt,
sollst du meine Gemahlin werden.“
Er dachte bei sich:
„Denn eine reichere Frau kannst du auf der Welt nicht haben.“
Als das Mädchen allein war, kam das Männlein zum dritten Mal wieder
und sprach:
„Was gibst du mir, wenn ich dir noch einmal das Stroh spinne?“
„Ich habe nichts mehr, das ich dir geben könnte.“
„So versprich mir, wann du Königin wirst, dein erstes Kind.“
„Wer weiß, wie das noch geht“,
dachte die Müllerstochter, und wusste sich in der Not nicht anders zu
helfen und versprach dem Männlein, was es verlangte. Dafür spann das
Männlein noch einmal das Stroh zu Gold. Und als am Morgen der
König kam, und alles fand wie er gewünscht hatte, so hielt er Hochzeit
mit ihr, und die schöne Müllerstochter ward eine Königin.
Nach einem Jahr brachte sie ein schönes Kind zur Welt, und dachte gar
nicht mehr an das Männlein, da trat es in ihre Kammer und sprach:
„Nun gib mir, was du versprochen hast.“
Die Königin erschrak, und bot dem Männchen alle Reichtümer des
Königreichs an, wenn es ihr das Kind lassen wollte, aber das Männlein
sprach:
„Nein, etwas Lebendes ist mir lieber als alle Schätze der Welt.“
Da fing die Königin so an zu jammern und zu weinen, dass das
Männchen Mitleiden mit ihr hatte, und sprach:
„Drei Tage will ich dir Zeit lassen, wenn du bis dahin meinen Namen
weißt, so sollst du dein Kind behalten.“
Nun dachte die Königin die ganze Nacht über an alle Namen, die sie
jemals gehört hatte, und schickte einen Boten über Land, der sollte sich
erkundigen weit und breit nach neuen Namen. Als am andern Tag das
Männlein kam, fing sie an mit Caspar, Melchior, Balzer, und sagte alle
Namen, die sie wusste, nach der Reihe her, aber bei jedem sprach das
Männlein:
„So heiß ich nicht.“
Den zweiten Tag ließ sie herumfragen bei allen Leuten, und sagte dem
Männlein die ungewöhnlichsten und seltsamsten vor: Rippenbiest,
Hammelswade, Schnürbein, aber es blieb dabei:
„So heiß ich nicht.“
Den dritten Tag kam der Bote wieder zurück, und erzählte:
„Neue Namen habe ich keinen einzigen finden können, aber wie ich um
die Waldecke kam, wo Fuchs und Has sich gute Nacht sagen, so sah
ich da ein kleines Haus, und vor dem Haus brannte ein Feuer, und um
das Feuer sprang ein gar zu lächerliches Männlein, hüpfte auf einem
Bein, und schrie:
,Heute back ich, morgen brau ich,
übermorgen hol ich der Königin ihr Kind;
ach, wie gut, dass niemand weiß
dass ich Rumpelstilzchen heiß!‘“
Da war die Königin ganz froh dass sie den Namen wusste und als bald
hernach das Männlein kam und sprach:
„Nun, Frau Königin, wie heiß ich?“
„Heißest du Kunz?“
„Nein“
„Heißest du Heinz?“
„Nein.“
„Heißt du etwa Rumpelstilzchen?“
„Das hat dir der Teufel gesagt, das hat dir der Teufel gesagt“,
schrie das Männlein, und stieß mit dem rechten Fuß vor Zorn so tief in
die Erde, dass es bis an den Leib hineinfuhr, dann packte es in seiner
Wut den linken Fuß mit beiden Händen, und riss sich selbst mitten
entzwei.
Puppenspiel Ende – Lichtwechsel
SOFIE:
Das gehört mir. Woher habt ihr es? Ich habe es nicht an euch verkauft.
MÄNNLEIN:
Das tut nichts zur Sache. Viel schlimmer ist, dass dieses hundsgemeine
Stück dir so sehr ans Herz gewachsen ist.
SOFIE:
Hundsgemein! Ihr seid hundsgemein. Das Märchen handelt von Armut,
Verzweiflung, Liebe …
MÄNNLEIN:
… und Verrat, den diese gottverdammte Müllerstocher, der Teufel soll sie
holen, an meinem Urururgroßvater namens Rumpelstilzchen begangen
hat.
MÜLLER:
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Jahr
- 2013
- ISBN (eBook)
- 9783955950095
- ISBN (Paperback)
- 9783955950200
- DOI
- 10.3239/9783955950095
- Dateigröße
- 387 KB
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2013 (Februar)
- Schlagworte
- rumpelstilzchens rache