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Papiergeflüster

Aus dem Leben einer Buchhändlerin

©2013 0 Seiten

Zusammenfassung

Wenn Bücher erzählen könnten, was sie in einem Buchgeschäft so alles mitbekommen! Simone Dalbert plaudert mit viel Humor aus dem persönlichen Nähkästchen und erzählt von unberechenbaren Kunden, Plüsch-Bakterien, Schaufenster-Yoga und bayerischen Mathematikbüchern. Simone Dalbert, geboren 1977, wuchs im Saarland auf und studierte dort Biologie. Inzwischen lebt sie in Würzburg, wo sie eine Ausbildung zur Buchhändlerin absolvierte und noch immer in diesem Beruf arbeitet. Auf ihrem Blog papiergefluester.com und dem Twitteraccount @Buchgeflüster schreibt sie zudem privat über ihren Alltag als Buchhändlerin.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Alle Jahre wieder: Inventur

 

Alle Jahre wieder folgt auf das wuselige Weihnachtsgeschäft die Inventur. Alles muss erfasst, jede Postkarte und jede Rolle Geschenkpapier gezählt werden. Die Bücher können wir zum Glück scannen, ich habe auch noch die alte Methode mit Rechenmaschine und Fotoapparat erlebt. Fragt nicht.

 

Schon Wochen vorher fange ich an, mir Listen zu schreiben. Mit all den Dingen, die nicht gescannt, sondern von Hand gezählt und erfasst werden müssen. Damit auch ja keines vergessen wird. Das fängt bei den Kleinigkeiten wie den Postkarten im Lager an. Zu Weihnachten kauft natürlich niemand Sommerkarten, die liegen wohl verwahrt im Schrank. Da liegen sie gut, und werden gerne mal ignoriert.

 

Und es endet meist mit den Dingen, die man das ganze Jahr vor Augen hat und deshalb gar nicht mehr bewusst wahrnimmt. Wie zum Beispiel dem lebensgroßen Skelett, das der Jahreszeit entsprechend gekleidet herum steht und eher als Kollege denn als Inventar, angesehen wird. Es heißt übrigens Ferdinand und trägt zur Inventurzeit meistens noch seine Nikolausmütze.

 

Ist dann alles gezählt, beginnt der große Scannerspaß. Ein Laptop wird mit einem Scanner und einem kilometerlangen Verlängerungskabel ausgestattet, über das jedes Jahr mindestens ein Kollege stolpert. Bisher zum Glück ohne größere Schäden an Personal oder technischer Ausstattung. Mit dem drehen wir dann die Runde im Laden. Dem Laptop, nicht dem Kollegen.

 

Das Inventurprogramm startet zuverlässig nicht so wie es soll. Kein Jahr, in dem ich nicht den »Es tut mir leid, aber klappt nicht!«-Anruf tätigen muss. Das Mistding denkt sich aber auch immer wieder etwas anderes aus, weshalb es nicht geht. Die Inventurverzögerung wird inzwischen schon eingeplant.

 

Läuft dann endlich alles, erarbeiten wir uns den Muskelkater des Jahres. Jedes Buch muss so weit aus dem Regal gezogen werden, dass der Barcode scannbar ist. Liebe Verlage, wenn ihr das hier lest, tut uns einen Gefallen und druckt den Code so nahe wie möglich am Buchrücken. Spätestens beim sechsten Regalbrett verflucht man jeden Verlag, der es genau anders herum handhabt. Ich nenne hier keine Namen.

 

Computer machen ja grundsätzlich nicht was sie sollen. Bleibt mitten in der Erfassung des Regalbrettes das Programm hängen, kommt es zur Frage aller Fragen: Welches Buch hat er als letztes erfasst?

 

Manchmal ist es aber auch gar nicht seine Schuld. Vor zwei Jahren habe ich mir selbst den GAU beschert und beim Übertragen der Daten falsch geklickt. Sie waren weg. Alle.

 

Der Chef nahm es zum Glück mit Humor, ich habe mich selbst auch zur Genüge verflucht, als ich die zweite Inventur in einem Jahr machen durfte.

 @Buchgeschichten:

Inventur-Samstag. Wer fällt als Erster über den Kabelsalat? Der Chef ;) Alle Beteiligten blieben unverletzt.

Inventurkorrektur. Chefin testet, wie schnell ich die von ihr diktierten ISBNs eintippen kann. Knoten in den Fingern und im Gehirn.

 

Hereinspaziert!

 

Es gibt Tage, da ist es im Laden einfach ruhig. Manchmal ahnt man warum, zum Beispiel wenn es Hunde und Katzen regnet. Da verübelt man den Kunden nicht, dass sie alle lieber anrufen und sich ihr Buch für den nächsten Tag zurücklegen lassen. An anderen Tagen ist es einfach wie verhext, es gibt keinen ersichtlichen Grund, aber es kommt trotzdem niemand.

 

Bis man eine der magischen Tätigkeiten ausübt, die so gut wie immer Kunden in den Laden locken. Manchmal reicht es schon, den Staubsauger nur aus seiner Ecke zu nehmen. Wenn es schon mal ruhig ist, kann man die Zeit ja nutzen und sauber machen. Kaum hat man das Kabel eingesteckt, wirkt der Zauber. Man kommt oft gar nicht mehr dazu, den Staubsauger aus dem Weg zu räumen und hofft, immer mit einem Auge in die Ecke schielend, dass niemand darüber stolpert.

 

Auch Essen hat eine schier magische Anziehungskraft. Gibt man dem Hunger nach, weil ja gerade sowieso niemand da ist, und beißt mal eben schnell in seine Semmel, geht die Tür auf. Darauf kann man schon Wetten abschließen. Beißt man nur vorsichtig kleine Bissen ab, die man schnell auf den ihnen bestimmten Weg schicken kann, hat man eventuell noch Glück und darf ein paar davon nehmen. Aber wehe man wird leichtsinnig und beißt herzhaft zu. Zum Glück haben die meisten Kunden Verständnis dafür, dass auch wir ab und zu etwas zu essen brauchen.

 

Am wirkungsvollsten sind die Tätigkeiten, die sich nicht so schnell unterbrechen lassen. Zum Beispiel auf der Leiter stehen und eine Glühbirne wechseln. Oder auch mit Handschuhen und einer Baumschere den Strauch vor dem Laden zurecht stutzen. An einem absolut öden Tag hatte ich mir gerade die Gummihandschuhe übergestreift und dem Unkraut an der Ladentreppe den Kampf angesagt, da kamen sie plötzlich aus allen Ecken. In der darauffolgenden halben Stunde hatte ich mehr Kunden, als in den vier Stunden zuvor. Was tut man nicht alles für mehr Kundschaft. Hereinspaziert!

 @Buchgeschichten:

Trage heute einen blinkenden Vogel an der Weste. Habe jetzt eine kleine Verehrerin mit süßen Mäusezähnchen. Sie wollte gar nicht mehr gehen.

Vorsicht, ansteckend!

Seit wir Riesenmikroben im Sortiment führen, kommt es immer mal wieder zu seltsamen Situationen. Riesenmikroben sind vergrößerte Bakterien, Viren und Zellen aus Plüsch und mit großen Kulleraugen. Biologisch halbwegs korrekt an der tatsächlichen Zellform orientiert, bringt jede eine kleine Beschreibung mit, wo sie lebt und was sie so mit einem anstellen kann.

 

Die kleinen Riesen sind wirklich goldig und werden gerne verschenkt. Zur Prüfungszeit ist die Gehirnzelle sehr gefragt, zur Hochzeit wird gerne mal eine Eizelle zusammen mit einem Spermium gekauft. Weniger nett gemeint ist wahrscheinlich eine verschenkte Fettzelle.

 

Am Telefon kommt es unter Kollegen dann schon mal zu Missverständnissen. So erntete ich zum Beispiel eisiges Schweigen, als ich meinen Kollegen fragte, ob er die Schlafkrankheit hätte. Als ich dann »Als Riesenmikrobe« nachschob, bekam ich auch wieder eine Antwort. Der Kollege hatte mich im Verdacht, ihn wegen seiner vermeintlichen Langsamkeit aufzuziehen.

 

Bei anderen Gesprächen möchte man für eventuelle Zuhörer am liebsten ein Schild hochhalten: »Wir sprechen über Plüschtiere!« Zum Beispiel als mein Kollege mich anrief und fragte, ob ich eine Syphilis für ihn hätte. Meine Antwort musste für Mithörende ziemlich befremdlich wirken: »Syphilis habe ich nicht, aber einen Tripper kann ich Dir anbieten.« Worauf der Kunde ganz trocken antwortete: »Danke, den habe ich schon!«

 @Buchgeschichten:

Rufe die Kollegin an: »Was kostet das Gehirn?« Schweigen antwortet. »Der Magnet, den Du mir geschickt hast.« Höre die Erleichterung.

Frostiger Januar

 

Unsere Kunden kennen neben Büchern gerade nur noch ein Thema: die Kälte. Wir sind immer bestens über die Außentemperaturen unterrichtet, mindestens jeder Zweite teilt uns gleich beim Hereinkommen mit: »Kalt da draußen!«. Ach nein, immer noch? Deshalb liegt auch das weiße Zeug da draußen?

 

Inzwischen fühlt es sich ja wirklich schon warm an, im Vergleich zu den letzten Wochen, in denen wir sogar im Laden gefroren haben. Die Buchhandlung wurde heiztechnisch nämlich leider eher ungünstig geplant. Die Heizkörper sitzen direkt unter dem Schaufenster. Da geht dann auch alle Wärme gleich hin, einmal durchs Schaufenster und ohne große Umwege raus.

 

Die Schaufenster dekorieren wir zu solchen Zeiten besonders gerne, immerhin sind die der einzige wirklich warme Ort im Laden. Aber irgendwann sind alle perfekt dekoriert, das letzte Buch ist gerade gerückt und wir müssen uns wieder der kalten Realität stellen. Wobei wir gar nicht klagen wollen, die Kollegen in der Schiller-Buchhandlung in Stuttgart hatten an den kältesten Tagen des Jahres auch noch einen Heizungsausfall im Laden. Dagegen waren unsere 15°C sicher kuschelig warm.

 

Steht man bei solchen Temperaturen den ganzen Tag im Laden, wird einem ab und an schon kühl um die Nase. Also sucht man sich Arbeiten, die mit möglichst viel Bewegung zu tun haben. Unter dem Tresen versteckt, wärmt man die Finger an der Teetasse und träumt vom Feierabend, wenn man es sich mit einer Wolldecke gemütlich machen und endlich wieder auftauen kann.

 

Die Kunden schauen manchmal etwas irritiert, wenn ich sie in eine Fleecejacke gepackt, mit einem warmen Schal nach oben hin isoliert, begrüße. Kommt man aus -15°C rein, ist das auch kein Wunder. Ich habe es selbst getestet, wenn ich die Kartenständer und Büchertische nach draußen brachte oder am Abend wieder in den Laden holte. Plötzlich versteht man gar nicht mehr, warum einem kurz vorher noch so frisch zumute war.

 

Jetzt genießen wir den schneeweißen Anblick vor dem Laden und fragen die Kunden beim hereinkommen sicherheitshalber: »Kalt da draußen?«

 @Buchgeschichten:

4 Versuche für einen Facebook-Post und immer noch ein Schreibfehler drin. Es ist zu warm …

 

Besuch der anderen Art

 

Je nach Lage des Ladens bekommt man auch mal unerwarteten Besuch. Die Achtbeiner finden sich sowieso immer und überall, für leicht arachnophobe Kollegen kann das zum Problem werden. Ich versuche ja immer, mir das hohe quietschen zu verkneifen, wenn Kunden im Laden sind. Auch, wenn mir beim Entfernen der Schaufensterdekoration gerade fast eine Spinne über die Hand gelaufen wäre. Immer klappt das aber nicht.

 

Eine Kollegin kam tatsächlich einmal kreischend aus dem Schaufenster gesprungen und warf das Tuch, das sich kurz zuvor noch auf dem Boden desselben befand, weit von sich. Da sonst niemand anwesend war, der uns hätte retten können, erbarmte ich mich. Eine schnelle Zählung der Beine brachte zum Glück Entwarnung: es waren nur sechs. Eigentlich unverständlich, warum zwei Beine mehr ein Wesen gefährlich machen sollten, aber auch Buchhändler sind nicht vor Unlogik gefeit.

 

Wesentlich sympathischer als acht- oder sechsbeiniger Besuch, ist mir der mit vier Beinen. Wobei es auch nicht einfach war, die Nachbarskatze davon zu überzeugen, dass sie bitte nicht in den Laden spazieren sollte. Man möchte sie ja am Abend nicht versehentlich einschließen. Ich musste dann trotz sommerlicher Temperaturen die Ladentür schließen, trotzdem hatten wir den Rest des Tages damit zu tun, die Katze zu fangen und wieder vor die Tür zu bugsieren, weil sie sich mit dem nächsten Kunden gleich wieder rein schlich. Sie war wohl eine sehr bibliophile Katze.

 

Zweimal hinschauen musste ich bei einem nicht ganz alltäglichen Gast. Es war ein relativ ruhiger Tag, ich nutzte die Zeit, um die Regale aufzuräumen. Da hörte ich hinter mir ein leises, kratzendes Geräusch. Krallen auf Holz? Als ich mich umdrehte, sah ich gerade noch einen roten Puschelschwanz im Schaufenster verschwinden. Ein Eichhörnchen fand Gefallen an unserer Schaufensterdekoration und wollte sie sich genauer anschauen.

 

Auch dieser ungewöhnliche Gast fand wieder den Weg hinaus, ich bin gespannt, wer noch so alles den Weg hinein finden wird.

 

Schaufenster-Yoga

 

Das Fitnessstudio kann man sich als Buchhändler eigentlich getrost sparen. Bücherkisten schleppen ersetzt das Muskeltraining und die Wege im Laden sind besser als jedes Laufband. Schon mal 40 Schönfelder der Kollegin hoch gereicht, die auf der Leiter stehend das Lager, ganz oben in den Regalen, damit befüllt? Wer braucht da noch Hanteln?

 

Meine Yoga-Stunden kommen mir allerdings öfter mal zugute: Zwei unserer Schaufenster sind nämlich nur von einer Seite zu erreichen. Was auf der anderen Seite einmal liegt, liegt da gut und wird hoffentlich nicht so bald wieder gebraucht.

 

Natürlich versuchen wir die Ecke, die bei gefülltem Schaufenster so gut wie unerreichbar ist, mit den Titeln zu bestücken, die mehrmals vorrätig sind. Aber selbstverständlich merke ich meistens erst beim Kontrollblick von draußen, dass ganz da hinten in der Ecke das Buch nicht so liegt, wie es liegen sollte. Also muss ich da jetzt irgendwie dran kommen. Oder aber Murphy schlägt zu, alle Kunden kauften dasselbe Buch und im Schaufenster liegt jetzt doch das letzte Exemplar. Ganz da hinten in der Ecke.

 

Dann kommt es immer wieder zu Szenen, bei denen ich jedes Mal hoffe, dass gerade niemand am Schaufenster vorbei laufen möge, den ich kenne. Wenn ich wieder einmal auf Zehenspitzen balancierend, mich gerade noch so an einer Säule haltend, nach einem Buch angele. Oft genug nur noch auf einem Bein, das zweite wenig elegant irgendwo im Schaufenster untergebracht, wo es möglichst keine Dekoration oder gar Bücher herunter reißen könnte. Ich muss unbedingt mal in unseren Yoga-Büchern nachschlagen, wie sich diese Haltung nennt. Trinkender Elefant oder fischender Reiher?

 @Buchgeschichten:

Natürlich wird der Adventskalender in der hintersten Ecke des Schaufensters gewünscht, wenn ich die sehr enge Jeans anhabe. Das war knapp.

Wer hat an der Uhr gedreht …

 

Kleinigkeiten können so glücklich machen. Der falsche Gruß reicht oft schon, um einen die nächsten Stunden mit besserer Laune erleben zu lassen.

 

Am Montagmorgen ein schönes Wochenende gewünscht zu bekommen, kann zum Beispiel durchaus erheiternd sein. Und mal ehrlich, wer wünscht sich am Montag nicht ab und an mal, dass eigentlich Wochenende sei?

 

Vielen Dank auch für die »Gute Nacht!«-Wünsche um kurz vor sechs. Man sah mir den Wunsch nach dem Bett wohl an den Augen an.

 

Wenn die Zeit mal wieder zu schnell vergeht, rutscht mir selbst aber auch gerne am späten Nachmittag mal noch ein »Guten Morgen« raus.

 

… ist es wirklich schon so spät?

 @Buchgeschichten:

Kundin wünschte uns heute (21. Dezember) »Frohe Ostern!« Klassischer Fall von Weihnachts-Verdrängung, am 24. werden dann Geschenke besorgt.

Beratungswahnsinn

 

Bücher werden ja immer wieder gerne verschenkt, zum Glück. Nicht nur, weil wir sie dann verkaufen dürfen, Bücher sind auch ein tolles Geschenk. Man verschenkt nicht nur ein bisschen Papier mit Druckerschwärze drauf, sondern ein Stückchen einer anderen Welt.

 

Leichter fällt das natürlich, wenn man weiß, welche Welt dem oder der Beschenkten gefallen könnte. Weiß man sich selbst keinen Rat, fragt man die nette Buchhändlerin von nebenan, die sich gerne mit auf die Suche nach dem perfekten Geschenk begibt. In der Vorweihnachtszeit von Tag zu Tag öfter.

 

Die erste Frage ist dabei immer dieselbe: »Für wen soll das Geschenk denn sein?« Im Idealfall erfährt man aus der Antwort das Geschlecht des Opfers und eine ungefähre Altersangabe; wobei Jahrzehntangaben durchaus hilfreich sind. Wenn mir eine ältere Dame gegenüber steht und meint »Für eine jüngere Dame«, kann das alles zwischen Zwanzig und Siebzig sein.

 

Ausgerüstet mit dem ersten groben Raster Geschlecht und Alter, kann es weiter gehen auf der Suche nach dem perfekten Buch. »Was liest er oder sie denn gerne? Soll es eher ein Krimi sein, oder vielleicht etwas Historisches?« Oft ist der Lesegeschmack leider nicht bekannt. Was grundsätzlich ja Platz für viele Empfehlungen bieten würde. Aber meistens stellt sich heraus, dass jedes vorgeschlagene Buch aus irgendwelchen Gründen nicht passt, weil … Und plötzlich kennt man den Buchgeschmack des anderen doch ganz gut.

 

Wenn der Geschmack der oder des zu Beschenkenden zu genau bekannt ist, erleichtert das die Suche aber keineswegs. Man soll nicht glauben, was ein Buch alles sein soll und doch wieder nicht. Bitte anspruchsvoll, aber leicht zu lesen, ernsthaft aber nicht zu traurig und am besten noch lustig dazu, auf keinen Fall eine Liebesgeschichte oder etwas aus dem Mittelalter. Jedes vorgeschlagene Buch wird garantiert eines der Kriterien nicht erfüllen, unermüdlich gräbt die Buchhändlerin weiter, empfiehlt einmal quer durch die Buchhandlung. Um zu guter Letzt zu hören: »Ich glaube, ich nehme dann doch den neuen Roman von Nora Roberts.« Soll ich ihr sagen, dass er im Mittelalter spielt?

 

Die kürzeste Beratung meines bisherigen Buchhändlerlebens endete schon nach der Frage: »Für wen soll das Buch denn sein?«. Die wurde dermaßen schneidend mit »Für meine Schwiegermutter!« beantwortet, dass ich mich gar nicht mehr traute, weitere Fragen zu stellen. Ich hoffe, die Schwiegermutter hatte Spaß mit dem neuesten Roman von Nora Roberts.

 @Buchgeschichten:

Kunde: »Es war eine Freude bei ihnen. Zwei so nette Damen! Ist noch eine dritte Dame hier? Dann nenne ich mich Paris!«

Unmöglich!

 

Es gibt Kunden, die bleiben einem für immer und ewig in Erinnerung. Mal aus schönen, mal aus weniger schönen Gründen. Jeder, der im Einzelhandel arbeitet, erlebt irgendwann einmal seinen ganz persönlichen Horrorkunden. Oder auch mehrmals, aber mit der Zeit lernt man, auch mit diesen Menschen umzugehen. Bei meiner ersten Begegnung mit einem wirklich sehr schwierigen Kunden, war ich gerade in meiner zweiten Ausbildungswoche. Heute würde ich mit so einer Begegnung anders umgehen, damals wusste ich nicht, was ich mir von Kunden gefallen lassen und muss, und wo die Grenzen sind.

 

Der Albtraum kündigte sich schon einen Tag vorher an, als der Herr telefonisch seine Bestellung aufgab. Er hatte sich vor Jahren ein Buch gekauft, ›Wie schreibe ich mein Testament‹, und möchte gerne die aktuelle Auflage davon. Die war schnell gefunden, dem Herrn aber zu teuer. In der aktuellen Ausgabe war eine CD-ROM enthalten, mit der konnte er aber nichts anfangen. Er habe ja gar keinen Computer. Ob es das Buch nicht auch ohne die CD-ROM gäbe? Nein, gab es leider nicht. Ob man die CD-ROM nicht aus dem Buch rausnehmen könne und ihm günstiger verkaufen? Nein, das geht natürlich nicht. Die CD-ROM hätten wir natürlich entnehmen können, aber es gibt eine Buchpreisbindung. Wir können nicht einfach die Teile der Bücher, die der Kunde nicht braucht, entfernen und den Rest günstiger verkaufen. Was machen wir mit den entfernten Teilen? Dem Verlag zurück schicken und um Gutschrift bitten? Die Gesichter im Verlag würde ich gerne sehen.

 

Der Herr diskutierte noch länger mit mir, ich gab ihn irgendwann an einen Kollegen weiter, der ihm aber auch nur das Gleiche sagen konnte. Zähneknirschend bestellte der Kunde das Buch. Am nächsten Tag kam er auch schon vorbei, um es abzuholen. Natürlich nicht, ohne noch mehrmals zu kommentieren, dass es unglaublich sei, dass das Buch so viel teurer geworden sei.

 

Da ich aus dem Telefonat wusste, dass das Buch für den Herrn selbst war, fragte ich nicht, ob ich es als Geschenk einpacken soll. Würde ich bei dem Titel ›Wie schreibe ich mein Testament‹ auch nie fragen, wer verschenkt so etwas? Was ich nicht wusste: Der Herr ließ sich grundsätzlich jedes Buch als Geschenk verpacken. Für sich selbst. Das ist auch absolut in Ordnung. Etwas ungewöhnlich, aber auch solche Wünsche erfüllen wir natürlich gerne. Wenn wir sie kennen.

 

Ich bekam dann schon deutlich mitgeteilt, dass er das Buch als Geschenk verpackt wünscht. Aber nicht von mir, das soll der Kollege machen, der kann das so gut. Zu dem Zeitpunkt habe ich das nur zu gerne an den Kollegen abgegeben, der ja auch wirklich mehr Übung hatte, als ich damals. Ich kassierte, der Kollege verpackte das Buch sorgfältig als Geschenk, ich steckte es in eine Tüte und reichte es dem Kunden. Hier hätte alles vorbei sein können, der Herr geht grummelnd seiner Wege und ich bediene innerlich kopfschüttelnd den nächsten Kunden. Leider hatte der Herr einen ganz schlechten Tag und war nur aus dem Haus gegangen, um das am nächsten zufällig gewählten Opfer auszulassen. Mir.

 

Er begann mit einer Schimpftirade, wie unmöglich ich mich verhalten hätte, warum ich ihm das Buch nicht als Geschenk eingepackt hätte, und wie unglaublich unhöflich ich ihm die Tüte auf den Kassentresen gelegt hätte. Das sei eine Frechheit, unglaublich, und so weiter und so fort. In einem Ton und einer Lautstärke, wie mich bis heute noch kein anderer Kunde angeschrieen hat.

 

Ich stand völlig verdattert da, wusste überhaupt nicht, was ich falsch gemacht hatte und wie ich reagieren sollte. Meine Kollegen waren zu dem Zeitpunkt mit anderen Kunden beschäftigt, aber als sie mitbekamen, was passierte, sprangen sie mir zur Seite. Ich werde nie vergessen, wie sich einer der Herren vor dem Kunden aufbaute und ihm deutlich machte, wer sich hier gerade sehr daneben benahm. Dafür bin ich ihm bis heute dankbar.

 

Und auch dem Kunden, den ich in der Zeit schon als Nächsten bediente. Der meinte nämlich zwinkernd zu mir: »Mein Buch müssen Sie nicht als Geschenk verpacken.«

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2013
ISBN (eBook)
9783955950019
ISBN (Buch)
9783955950057
DOI
10.3239/9783955950019
Dateigröße
594 KB
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2013 (Januar)
Schlagworte
TUBUK.digital Buchhändler
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